Hanspeter «Budy» Lehmann war beim Zirkus, beim Radio, führte ein Tanzlokal, gründete eine Guggenmusik, war Lehrperson an diversen Standorten und amtete zuletzt als Sigrist der reformierten Kirche Langenthal. Welche Pläne hegt der 62-Jährige, der sich nach einem extrem vielseitigen Berufsleben eben hat frühpensionieren lassen, für die Zukunft?
Dieses Portrait ist am 4. Januar 2025 in der Lokalzeitung Unter-Emmentaler erschienen.
Zwinglihaus Langenthal, ein Freitagmorgen vor Weihnachten. Hanspeter «Budy» Lehmann hantiert mit dem Staubsauger im Gottesdienstraum. Zielgenaues, konzentriertes Saugen zwischen den Stuhlreihen, unter dem Weihnachtsbaum, auf der Bühne. Das Meditative seiner Putzarbeit wird jäh unterbrochen durch einen Zeitungsmenschen, der den Sigrist der reformierten Kirche Langenthal zum Interviewgespräch treffen will. Budy macht den Staubsauger aus. Zu zweit schreitet man – nach einer kurzen Begrüssung, und bevor man in ein Sitzungszimmer verschwinden kann – zur Kaffeemaschine im Foyer, wo die Informationsübermittlung auch schon ihren Lauf nimmt.
Wer ein Porträt über Hanspeter Lehmann schreiben will, muss im Gespräch kaum Fragen stellen. Budy erzählt gerne, gut und detailreich. Das Aufeinandertreffen wird zum Selbstläufer – was nicht zuletzt deshalb wenig erstaunt, weil der Porträtierte auf ein extrem vielseitiges Berufsleben zurückblicken kann. Seine knapp neunjährige Tätigkeit als Sigrist ist nur die letzte Station einer sehr abwechslungsreichen, spannenden Karriere. Und wer weiss, ob diese bereits zu Ende ist: «Ich gehe noch nicht in Rente! Es ist lediglich eine Frühpensionierung – ein Kürzertreten ab 2025, das ich bereits vor meinem Stellenantritt per Juli 2016 angekündigt habe», betont Budy, der im Oktober 63-jährig wird.
Zum «Geissberg-Gesicht» geworden
Obschon als Tausendsassa bekannt und geschätzt, wird Budy vielen Langenthalerinnen und Langenthalern vor allem als Sigrist in bester Erinnerung bleiben. Ein Sigrist, der an die aufopferungsvolle Gastgeberpersönlichkeit seines Vorgängers – Hans Bürki war vor ihm stolze 34 Jahre im Dienst der reformierten Kirche Langenthal – anknüpfen konnte (siehe Infoabschnitt ganz unten).
Bevor Budy 2022 nach Rütschelen zog, lebte er, bedingt auch durch den Stellenantritt im Geissberg, in der dortigen Sigrist-Wohnung zwischen Forum und Affenplatz-Überbauung – die Wohnung wird unterdessen als sozialdiakonischer Treffpunkt genutzt.
Durch seine berufliche wie private Präsenz vor Ort – aber auch durch seine kommunikative, menschenfreundliche Art – wurde Budy schnell zum neuen und gerngesehenen «Geissberg-Gesicht». Mussten Räumlichkeiten für die rege Vereinsnutzung vor Ort hergerichtet werden – der Sigrist war zu Stelle. Musste zu Unzeiten Schnee rund um die Kirche geräumt werden – der Sigrist war zur Stelle. Und musste eine ältere Person während eines Gottesdienstes die Toilette aufsuchen und begleitet werden – der Sigrist war zur Stelle.
Budy war sozusagen immer zur Stelle. Für die Kirchgängerinnen und Kirchgänger, für die Mitglieder des Kirchgemeinderats, für die Nutzenden des Forums – und überhaupt für alle, die mit dem Geissberg in irgendeiner Form zu irgendwelchen Zeiten etwas zu schaffen hatten. Zuletzt war Budy, bedingt durch einen Wechsel im Sigristen-Team, öfters auch im Zwinglihaus anzutreffen.
Der 62-Jährige würde lügen, müsste er sagen, dass ihm seine berufliche Rolle nicht gefallen hat. Er sagt aber auch, ganz ehrlich und selbstkritisch: «Manchmal wurde es mir etwas zu viel – als Sigrist mit einer Dienstwohnung direkt auf dem Kirchengelände ist es schwierig, sich im nötigen Mass von der Arbeit abzugrenzen. Der Umzug nach Rütschelen hat mir in dieser Hinsicht sicherlich sehr gutgetan.»
Seit jeher vielseitig begabt
Die Vielseitigkeit seines Jobs wird der scheidende Sigrist vermissen. Eine spezielle Aus- oder Weiterbildung, die ihn für diese Tätigkeit qualifiziert hätte, brauchte er nicht. «Mein beruflicher Werdegang hat genügt», sagt Budy lakonisch. Wer mit ihm zurückblickt, kann diese Aussage nur unterschreiben.
Einer vierjährigen Elektronikmechaniker-Lehre liess der junge Hanspeter Lehmann in den frühen 1980er-Jahren ein dreijähriges HTL-Studium als Elektroingenieur folgen. Nach einer kurzen Wanderphase im Hard- und Softwarebereich fand er eine Stelle bei Ammann in Langenthal. «Ich war unter anderem dafür zuständig, Betonmischanlagen mit dem Computer zu verzahnen. Ich musste die Betriebsanleitungen für diese Maschinen schreiben und anschliessend die Mitarbeitenden für deren Nutzung schulen», erinnert sich Budy.
In dieser Phase schnupperte der junge Berufsmensch ein erstes Mal Pädagogen-Luft: «Genötigt durch einen damaligen Vorgesetzten, unterrichtete ich plötzlich Elektrotechnik an der Gewerbeschule. Anfangs war ich davon nur mässig begeistert. Relativ schnell habe ich jedoch gemerkt, dass mir das Unterrichten ziemlich viel Freude bereitet.»
Durch eine Anzeige, die er während eines Militär-WKs in der Zeitung entdeckt hatte, landete Budy schliesslich am Seminar Muristalden in Bern, wo er eine dreijährige Ausbildung, die sogenannte Lehrerbildung für Berufstätige (LAB), absolvierte. Während dieser Zeit kehrte die angehende Lehrperson – Budy war zwischenzeitlich ausgezogen – wieder ins mütterliche Heim an der Mittelstrasse in Langenthal zurück; um Geld zu sparen. «Eine solche Ausbildung konnte man damals, anders als heute, nicht berufsbegleitend absolvieren – ich musste jobben gehen; also arbeitete ich nebenher im Pascha in Bützberg und fuhr zeitweise sogar Taxi», erinnert sich Budy an herausfordernde, aber spannende Zeiten.
Kindheitstraum «Zirkus»
Das legendäre Tanzlokal Pascha stand in späteren Jahren sogar für mehrere Monate unter seiner Co-Führung. Zuvor war der vielseitig talentierte, fertig ausgebildete Lehrer aber noch beim Zirkus Monti, im regulären Schulbetrieb sowie beim Radio tätig. Doch alles schön der Reihe nach.
«Mit dem Zirkus wollte ich mir einen Kindheitstraum erfüllen. Eigentlich hätte ich Zirkuslehrer machen wollen. Diese Stelle war aber schon besetzt; also wurde ich in der Zirkuswerkstatt eingesetzt», erzählt Budy. Mit einem selbst umgebauten VW-Bus und einem Monti-Wohnwagen fuhr der damals knapp 33-Jährige während einer ganzen Saison mit dem Zirkustross mit und besuchte Orte in der ganzen Schweiz.
Nach dieser Erfahrung unterrichtete er im Werkjahr, was damals dem zehnten Schuljahr entsprach. Seine Stelle im Werkjahr wurde jedoch kurz darauf wegrationalisiert, weshalb es ihn an die Langenthaler Volksschule verschlug. Nach zweijähriger Tätigkeit als Klassenlehrperson im Kreuzfeld wechselte er die Branche erneut und fasste als Praktikant bei Radio32 Fuss. «In früheren Zeiten hatte ich schon einmal vorübergehend beim Radio gejobbt, deshalb hätte ich mir sowas durchaus für meine weitere Berufslaufbahn vorstellen können. Das halbjährige Praktikum bei Radio32 war dann erneut eine lässige Erfahrung – aber irgendwie war es trotzdem nicht das Gelbe vom Ei», urteilt er rückblickend.
Budy wechselte daraufhin zurück in den Lehrerberuf und wurde Klassenlehrperson am 10. Schuljahr BSP im Waldhof Langenthal. Es folgte eine Phase, die, gemessen an den übrigen Berufsstationen des Porträtierten, als extrem stet bezeichnet werden kann: 14 Jahre lang blieb er Lehrperson im Waldhof. «Ich pflegte und betreute während dieser Zeit auch noch meine Mutter; es war eine äusserst intensive Zeit – ich wäre beinahe in ein Burnout hineingeschlittert», berichtet Budy nachdenklich. 2015 starb seine Mutter. «Es hätte sie sehr gefreut zu sehen, wie ich Mitte 2016 meinen neuen Job als Sigrist angetreten habe. Leider durfte sie das nicht mehr erleben. Ich fühle mich nach wie vor mit ihr verbunden – meine Tätigkeit als Sigrist half dabei, die Verbindung zu ihr aufrechtzuerhalten oder sogar zu stärken.»
Bis heute ein «Würger»
Als Sigrist durfte Budy unzählige Gottesdienste, Anlässe und Kirchenfeste vorbereiten und begleiten, darunter auch den Fasnachtsgottesdienst von 2018. Damals, unmittelbar vor dem grossen Fasnachtsumzug, spielte in der Kirche Geissberg die Langenthaler Guggenmusik Akkordwürger auf. Budy Lehmann ist Gründungs- und Ehrenmitglied der 1980 ins Leben gerufenen «Würger», weshalb es den eingefleischten Fasnächtler und zeitweiligen Tönlifurzer-Götti ganz besonders freute, «seine» Akkordwürger zum Stelldichein in der reformierten Kirche begrüssen zu dürfen.
An der Fasnacht wird man Budy bestimmt auch in Zukunft antreffen. Davon abgesehen lässt der Frühpensionierte aber bewusst sehr vieles offen. «Mein einziges Ziel für 2025 ist es, kein Ziel zu haben.» Er wolle die Zeit nutzen, um «herunterzufahren». «In nächster Zeit werde ich voraussichtlich öfters mit meinem Camper unterwegs sein», vermutet Budy – er besitzt einen Amarok-Pickup inklusive demontierbarer Wohnkabine. Daneben unterhält der 62-Jährige nach wie vor einen alten Zirkuswagen (zu dessen Erwerb sagt er: «Da war wohl mehr Herz als Verstand im Spiel»), einen Barwagen (die legendäre Schiinbar) sowie einen Industrietraktor der Marke Hürlimann.
Das Richtige wird ihn finden
In Rütschelen konnte er eine Liegenschaft mit genügend Platz für all seine Fahrzeuge übernehmen; ein Gewerbeobjekt nahe der Berggarage – vier übergrosse Garagenboxen, wovon ein Teil ausgebaut ist. Budy wohnt hier im ehemaligen Dorfcafé «Drama», das zuvor eine Schnapsbrennerei war. Viel Platz für sich selbst hat er nicht. «Egal», sagt er, «dieses Leben gefällt mir sehr, es erinnert mich an die schönen Zeiten beim Zirkus.» Wolle er Menschen treffen, müsse er sich bloss nach draussen setzen und warten, bis jemand vorbeilaufe.
Beim «Chillen» vor der Haustüre wird er im Verlauf der kommenden Frühlings- und Sommermonate bestimmt auch den richtigen Plan für die nächsten paar «Berufs»-Jahre schmieden. «Nichts mehr müssen, sondern nur noch dürfen – das wäre schön», sinniert Budy. «Vielleicht werde ich Nachhilfelehrer und biete Eins-zu-eins-Unterricht an», skizziert der Umtriebige bereits heute eine erste Zukunftsvision, die ihm gefallen würde. «Oder warum nicht wieder in die Gastronomie wechseln und irgendwo im Service aushelfen?» Auf alle Fälle hat Budy bereits ein paar Ideen im Hinterkopf. Gut so – das Richtige wird ihn einmal mehr finden.
Als Sigrist verabschiedet – spezielles Adventsfenster für Budy
In der Zeit vor Weihnachten werden in der Kirche Geissberg jeweils abends um 18 Uhr musikalisch-literarische Adventsfenster geöffnet. Eines davon war aus gutem Grund besonders gut besucht – jenes Mitte Dezember, bei dem «Budy» Lehmann als Sigrist offiziell verabschiedet wurde. Dabei hielt er sich –mal sitzend, mal stehend – seinem Naturell entsprechend im Hintergrund auf. Dies fast im Dunkeln, als er die rührende, zur Adventszeit passende Geschichte um die alte, gutmütige Frau Hugentobler sowie Walter und Susi vorlas. Budy Lehmanns Text erfolgte in Etappen – unterbrochen von brillant vorgetragener Musik an der Orgel (Pietro Dipilato) und mit der Querflöte (Camilla Tosetti). Kirchgemeinderat Markus Zahnd nahm die Verabschiedung von Budy Lehmann vor. «Du hast den Sigristen-Dienst gelebt», lobte er den 62-Jährigen. Als guter Gastgeber sei er schon mal «umetigeret». Er habe sich mit der Kirche identifiziert. Bei ihm sei alles durchdacht gewesen. So habe er immer gewusst, wie dies und jenes umzusetzen sei. Bei der Erneuerung der Kirche Geissberg sei er «Mister Baustelle» genannt worden. Der Bekanntheitsgrad von Budy sei enorm. «Wenn man in der Stadt diesen Namen nennt, wissen alle, wer gemeint ist.» Sichtlich gerührt, durfte Budy aus den Händen von Markus Zahnd Geschenke entgegennehmen. Als Dankeschön und aus Sympathie folgten fast alle der Einladung, im nahen Forum Geissberg (Kirchgemeindehaus) Worte des Dankes an Budy Lehmann zu richten und mit ihm auf sein Engagement für die Kirche sowie auf die Zukunft anzustossen.
Text Infoabschnitt: Hans Mathys
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