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Minimalistisch per Nachtzug, Bus und Anhalter

Einmal quer durch die Türkei und durch Georgien: Nur mit Handgepäck und weniger als 100 Dingen im Rucksack habe ich in 19 Tagen die Strecke von Istanbul nach Tiflis zurückgelegt. Weltoffene Einheimische und quirlige Globetrotter haben die Unternehmung mitgeprägt. Auf diesem abenteuerlichen Backpacker-Trip gibt es zahlreiche Sehenswürdigkeiten zu entdecken. Freu dich aber auf noch viel mehr, denn auf dieser Reise ist vor allem der Weg dein Ziel!

 

 

Dieser Reisebericht ist am 20. August 2023 auf dem Reiseblog von globetrotter.ch erschienen. Hier geht es zum Original-Artikel.

 

Was mich betrifft: Ich reise am liebsten spontan und unbeschwert. Deswegen packe ich für meinen bevorstehenden Trip erneut weniger als 100 persönliche Gegenstände in meinen Handgepäck-Rucksack. Mehr brauche ich nicht. Ein minimalistischer Ansatz kann extrem befreiend sein – im Leben generell; und beim Backpacken und Umherreisen sowieso.

 

Bei meiner Ankunft am Flughafen Sabiha Gökcen auf der «asiatischen» Seite von Istanbul kenne ich vorerst nur das Reiseprogramm für die nächsten zwei bis drei Tage: Ich will die Metropole am Bosporus erkunden. Weiter ist meine Planung noch nicht vorangeschritten. Ein bisschen Spontaneität zahlt sich beim Reisen oftmals aus – das wird sich später auch auf diesem Trip wiederholt herausstellen.

 

Zentral gelegenes Hostel ist Trumpf

 

Als Ausgangspunkt für meine Entdeckungstouren durch Istanbul wollte ich unbedingt ein zentral gelegenes Hostel haben. Meine Wahl fiel deshalb auf das Cheers Hostel. Viele Sehenswürdigkeiten wie die berühmte Hagia Sophia, die Blaue Moschee, der grosse Basar oder der versunkene Palast liegen hier buchstäblich um die Ecke und können zu Fuss erreicht werden (Tipp: Reserviere dein Hostel unbedingt im Voraus – gerade in der Hochsaison gehen die Hostel-Betten in Istanbul weg wie warme Semmeln).

 

Mit Nastasia, einer aufgestellten Backpackerin aus Frankreich, die ich gleich am ersten Tag im Hostel kennenlerne, teste ich bei bestem Maiwetter eine der öffentlichen Fähren aus. Wir überqueren den Bosporus und können uns gar nicht sattsehen an den vielen Fischkuttern, Fährbooten und Containerschiffen, die auf dem schmalen Meeresstreifen verkehren. Der Blick vom Wasser aus eröffnet noch einmal eine ganz neue, ungeahnte Perspektive auf die türkische Millionenstadt.

 

Eine ganze Tagesreise nach Ankara

 

Am dritten Tag habe ich genug von Istanbul und all seinen Reizen. Ich will weiterziehen, nach Ankara. Mit der Metro geht’s frühmorgens in den Westen der Stadt zum Busbahnhof. Erst vor Ort erwerbe ich mein Fahrticket. Kurze Zeit später sitze ich in einem recht komfortablen Reisebus, der mich – mit vielen Zwischenstopps leider – in die türkische Hauptstadt bringt. Eine direktere Verbindung wäre angenehmer gewesen. Es lohnt sich, am Busbahnhof etwas mehr Zeit zu investieren und mehrere Ticketschalter abzuklappern. Oder man bucht das Billett vorab online. Zum Beispiel hier – funktioniert nämlich einwandfrei.

 

Ankara überrascht mit einem pulsierenden Nachtleben, trendigen Restaurants und sehr weltoffenen Einwohnerinnen und Einwohnern. Gerade die jüngeren Generationen scheinen besonders progressiv zu sein, was man unter anderem am freizügigen Kleidungsstil der jungen Frauen und Männer erkennen kann. In Ankara gehen religiöser Konservatismus und Modeströmungen sowie westlich geprägte Gesellschaftstrends offenbar Hand in Hand – oberflächlich betrachtet jedenfalls.

 

Ein Muss in der türkischen Hauptstadt ist meines Erachtens der Besuch von Anitkabir. So heisst das Mausoleum des türkischen Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk. Das imposante Grabdenkmal liegt auf einer kleinen Anhöhe unweit des Stadtzentrums. Wer etwas Geduld mitbringt, kann sogar die aufwendig inszenierte Wachablösung miterleben. Das Grab Atatürks ist per U-Bahn erreichbar. Ich selbst bin zu Fuss hingegangen. Aber Vorsicht: Ankara ist recht weitläufig.

 

Willkommen im Influencer-Paradies

 

Nach zwei Nächten in Ankara fahre ich mit dem Bus weiter nach Kappadokien. Nach circa fünfstündiger Fahrt erreiche ich das Städtchen Göreme. Der Ort ist Ausgangspunkt für die berühmten Heissluftballon-Fahrten. Berühmt? Oh ja – wer kennt sie nicht: Die spektakulären Instagram-Storys und -Posts von Influencerinnen und Influencern, die vor atemberaubenden Felsformationen mit darüber schwebenden Heissluftballons posieren.

 

Auch wenn es mich als Individualreisender etwas angurkt: Ich tue mir diesen Touristen-Hotspot ebenfalls an. Göreme hat sich in jüngster Vergangenheit effektiv zu einem Mekka für Influencerinnen und Influencer gemausert. Und ich gebe ja zu: Die morgendliche Szenerie mit Heissluftballons und verwunschenen Felskompositionen ist tatsächlich sehr spektakulär, einmalig, und daher extrem einprägsam. Weil ich vorher noch nie mit einem Ballon gefahren bin, gönne ich mir für umgerechnet 210 Franken den knapp einstündigen Ritt durch die Morgenlüfte.

 

Übernachten im Felsen-Hostel

 

Nach diesem eindrücklichen Erlebnis kehre ich Kappadokien aber bald wieder den Rücken. Als Backpacker ist mir die internationale Etepetete-Gesellschaft, die sich in Göreme tummelt, nicht ganz geheuer. Trotzdem: Wer hier ein Bett in einem bodenständigen, erschwinglichen Hostel sucht, wird derzeit noch fündig. Meine Bleibe in Göreme war das The Dorm Cave By Travellers. Dessen Mehrbettzimmer (Dorm) ist eine Art Gewölbekeller, der direkt in den Fels gehauen ist. Das Übernachten in einem Felsenzimmer gehört ebenfalls zu den Aktivitäten, die man in Kappadokien gemeinhin einfach erlebt haben muss.

 

Ich kehre also per Bus wieder zurück nach Ankara. Ab jetzt wird’s etwas abenteuerlicher. Recht spontan entschliesse ich mich dazu, mit dem sagenumwobenen Dogu Express (Ost-Express) mitzufahren. Täglich verlässt eine Nachtzug-Komposition den Bahnhof von Ankara. Nach knapp 25 Stunden und 1310 Bahnkilometer später erreicht der Zug die Stadt Kars ganz im Nordosten der Türkei.

 

Kommunizieren mit Händen und Füssen

 

Ein Ticket im Vierer-Schlafabteil des Dogu Express’ kostet umgerechnet knapp 13 Franken. Ich ergattere ein Billett für die Zugkomposition, die noch gleichentags in Richtung Ostanatolien abfährt. Mein Schlafwagen-Abteil teile ich mit zwei älteren türkischen Herren. Sie können kein Englisch, ich kaum ein Wort Türkisch. Egal – Hände und Füsse tun’s auch.

 

Der ältere der beiden lädt mich zu Tee und Keksen in den Speisewagen ein. Dort lerne ich weitere Mitreisende kennen: türkische Jugendliche, die Karten spielen und Musik hören (und ein bisschen Englisch sprechen) – und Thomas, ein Sekundarschullehrer aus Deutschland, der ebenfalls mit dem Rucksack unterwegs ist und auf seinem Trip seine bereits recht ansehnlichen Türkischkenntnisse weiter ausbauen will. Zu meinem Glück, wie sich bald herausstellen wird.

 

Während draussen karge und eindrückliche Landschaften an uns vorbeiziehen, lernen wir einander drinnen im Speisewagen besser kennen. Kilometerweit schlängelt sich der Zug dem Fluss entlang. Während der Fahrt tun sich immer wieder spektakuläre Schluchten auf, in die man kurz hineinspähen kann. Müde von all den Eindrücken verbringe ich – trotz Geruckel und Schnarch-Geräuschen meiner Pritschen-Nachbarn – eine ziemlich erholsame Nacht im Schlafwagen.

 

Ein Berner zu Besuch im osttürkischen Käsemuseum

 

Am Abend des nächsten Tages geht die abenteuerliche Zugfahrt zu Ende. Wir erreichen Kars, eine raue, aber gar nicht mal so unmoderne Stadt im Zentrum der gleichnamigen türkischen Provinz. Bis an die Grenze zu Armenien sind es von hier aus noch circa 25 Kilometer, bis an die Grenze zu Georgien etwa 50 Kilometer. Das Provinznest bietet nicht gerade viel, aber immerhin eine schöne Burgfestung und ein Käsemuseum (Käseherstellung hat hier eine sehr lange Tradition – historisch gesehen sind sogar Verbindungen zur Schweiz dokumentiert!). Für mich als Berner, der an der Grenze zum Emmental aufgewachsen ist, ist ein Besuch des Käsemuseums quasi Ehrensache.

 

Mit Thomas, den ich auf der Zugfahrt kennengelernt habe, entdecke ich die überschaubare Innenstadt von Kars. Gemeinsam entschliessen wir uns dazu, ein Angebot anzunehmen, das uns von einer türkischen Familie unterbreitet wurde, die ebenfalls mit «unserem» Dogu Express mitgefahren war.

 

Per Fahrgemeinschaft unterwegs im Grenzgebiet

 

So sitzen wir bereits am zweiten Tag nach unserer Ankunft in Ostanatolien in einem Mietauto. Am Lenkrad sitzt Nejat, ein türkischer Geschäftsmann. Ebenfalls mit an Bord sind seine Frau Serpil und die gemeinsame Tochter. Die Familie aus Izmir macht Urlaub in der Region Kars. Nejat lud mich und Thomas kurzerhand dazu ein, ein bis zwei Tage mit dem Mietauto mitzufahren. So sieht also türkische Gastfreundschaft aus! Und so kommt es, dass wir quasi per Anhalter (oder ist es doch eher ein Privattaxi?) plötzlich an der türkisch-armenischen Grenze landen, wo wir gemeinsam als türkisch-schweizerisch-deutsche Patchwork-Fahrgemeinschaft die mysteriöse Ruinenstadt von Ani erkunden. Mit Nejat können wir in Englisch kommunizieren, Serpil und die Tochter sprechen jedoch nur Türkisch. Dank Thomas klappt die Übersetzung jedoch einwandfrei.

 

Gleichentags fahren wir weiter an den auf knapp 2000 m ü. M. gelegenen Cildir-See im äussersten Nordosten der Türkei. Hier übernachten wir spontan in einem kleinen Bungalow-Dörfchen direkt am See; die schnuckligen Blockhütten werden in der kälteren Jahreszeit gerne von Wintertouristen gemietet, die auf dem zugefrorenen Cildir-See zum Eislaufen gehen oder Pferdeschlittenfahrten unternehmen.

 

Spontaneität sei Dank: Hallo Georgien!

 

Nach einer kalten Nacht (zum Glück lief im Chalet die Heizung!) lösen wir am nächsten Tag in der türkischen Provinzstadt Ardahan unsere Fahrgemeinschaft wieder auf. Hier besteigen ich und mein deutscher Reisekumpan einen Shuttlebus, der uns direkt an die Schwarzmeerküste nach Hopa bringt. Von dieser Stadt aus gibt es für Backpacker eigentlich nur noch eine Reiserichtung, die wirklich Sinn ergibt – nämlich weiter in den Nordosten, einmal über die Grenze nach Batumi.

 

Tatsächlich entschliesse ich mich dazu, auf meinem knapp dreiwöchigen Backpacker-Trip nun auch noch das Land zu wechseln. Eigentlich wollte ich mit dem Rucksack ursprünglich bloss die Türkei bereisen. Doch meine Reisebekanntschaften sowie mein Hang zur Spontaneität sorgen dafür, dass ich auch noch georgischen Boden betreten darf (ein Visum ist zum Glück nicht erforderlich – Schweizerinnen und Schweizer können sich bis zu einem Jahr visumfrei in Georgien aufhalten!).

 

Die Grenze überqueren wir gemeinsam mit dem jungen US-Amerikaner Brett, den wir ebenfalls auf dem Dogu Express kennengelernt hatten. Aus dem Reise-Duo wird also vorübergehend sogar ein Trio. Brett, dieser quirlige, leicht exzentrische Junge, verlässt uns jedoch bereits am nächsten Morgen wieder – er will oberhalb von Batumi eine Art Kommune aufsuchen, die ihm einen Work-and-Travel-Aufenthalt ermöglicht. Georgien ist derzeit bei Digital Nomads aufgrund seiner nach wie vor recht tiefen Lebenshaltungskosten sehr beliebt, wie wir vor Ort rasch feststellen – denn auch für uns sind die Preise ziemlich moderat.

 

Schnell weiter in die Hauptstadt nach Tiflis

 

Ein schäbiges Hostel und garstiges Regenwetter sind wohl die Hauptgründe dafür, weshalb auch Thomas und ich der georgischen Schwarzmeer-Grossstadt Batumi baldmöglichst den Rücken kehren wollen. Bevor sich unsere Reisegemeinschaft wieder etwas auflockert, entschliessen wir uns jedoch dazu, gemeinsam einen Shuttlebus nach Tiflis zu besteigen. Circa acht Stunden später verlassen wir das Überlandgefährt am Didube-Bus-Terminal im Nordwesten der georgischen Hauptstadt. Mit der Metro sind es ab hier nur noch ein paar Stationen bis ins Zentrum von Tiflis.

 

Mein Hostel liegt in der Altstadt, bloss einen Steinwurf vom bekannten Bäderviertel Abanotubani entfernt. Viele Sehenswürdigkeiten wie etwa die Festung Nariqala, der Botanische Garten, die Friedensbrücke oder die «Mutter Georgiens» sind von hier aus in Gehdistanz erreichbar. Nach dem eher ruppigen Georgien-Start am Schwarzen Meer fühle ich mich im beschaulichen Tiflis sofort viel wohler. Wobei: «Beschaulich» ist vielleicht etwas irreführend, die georgische Metropole zählt doch immerhin mehr als 1,1 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.

 

Die Atmosphäre der Stadt ist dennoch ausgesprochen entspannt, besonders auf der Flussseite, wo sich die Altstadt befindet. Hier kannst du wunderbar durch verkehrsarme, kopfsteingepflasterte Gässchen schlendern, in einer der authentischen Strassenbäckereien ein typisch georgisches, noch warmes Fladenbrot ordern, in einem der vielen Cafés einen Espresso schlürfen oder einfach auf den Strassen ein bisschen dem bunten Treiben zuschauen.

 

Georgien: Derzeit (noch) ein Geheimtipp

 

Wer Ausschau nach einem besonderen Urlaub hält, sollte Tiflis definitiv auf die Liste setzen. Die Stadt kommt meiner Meinung nach sogar für einen kurzen Städtetrip in Frage. Shopping, Sightseeing, Nachtleben, Kurzausflüge ins Umland, eine unglaublich schmackhafte und reichhaltige Küche, eine einzigartige Kultur – die georgische Hauptstadt bietet sozusagen alles, was sich Reisende nur wünschen können.

 

Apropos Kurzausflug: Einen solchen unternehme ich von Tiflis aus natürlich ebenfalls. Und zwar führt mich die Tagestour ins Kaukasus-Gebirge, direkt in ein Gebiet, das an der Grenze zu Russland liegt, eingebettet zwischen Südossetien und Tschetschenien. Klingt gefährlich, ist aber absolut unbedenklich. Dieser Teil des Kaukasus-Gebirges wird von Georgien kontrolliert; in der wärmeren Jahreszeit verkehren täglich zahlreiche Reisebusse mit Touristinnen und Touristen in der Region. Ein Highlight auf der Tagestour ist der Besuch der Gergetier-Dreifaltigkeitskirche, die in schroffes Bergland eingebettet ist. Im Grunde ist es aber einfach nur schon aufregend, mit einem kleinen Reisebus im wilden Kaukasus-Gebirge unterwegs zu sein.

 

Georgischer Wein – köstlich und preiswert

 

Mit Thomas treffe ich mich in Tiflis noch einmal zu einem (viel zu) ausgiebigen Abendessen mit georgischen Spezialitäten und – was einfach auch dazugehört – mit georgischem Wein. Danach mache ich mich per Bolt (die Uber-Alternative in Tiflis) an den Flughafen auf, von wo mich ein später Nachtflug zuerst nach Istanbul bringt. Per Anschlussflug geht’s schliesslich zurück in die Schweiz. 

 

Nie hätte ich bei meinem Start in Istanbul geglaubt, dass ich in bloss 19 Tagen mit dem Rucksack einmal quer durch die Türkei und sogar einmal quer durch Georgien reisen kann. So gross die zurückgelegte Distanz auch ist – stressig hat sich diese Reise nicht angefühlt. Und ich bereue nicht, dass ich auf meinem Backpacker-Trip unzählige Sehenswürdigkeiten, die man ebenfalls noch hätte besuchen können und Eindrücke davon hätte mitnehmen «müssen», einfach links liegengelassen habe. Denn auch in dieser Hinsicht zahlt sich – wie beim Packen eines Handgepäck-Rucksacks – ein minimalistischer Ansatz durchaus aus. Davon bin ich überzeugt. Durch den bewussten Verzicht konzentriert man sich nämlich vermehrt aufs Wesentliche – und lernt dabei entlang der Wegstrecke mit grosser Wahrscheinlichkeit neue Freunde fürs Leben kennen.

 

Es klingt vielleicht etwas abgedroschen, aber auf meinem Trip durch die Türkei und Georgien war definitiv der Weg das Ziel. Nicht die Sehenswürdigkeiten.

 

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