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«Meine Beerdigung ist schon organisiert»

 

Als EDU-Nationalrat und politischer Hardliner war Christian Waber schweizweit eine Person von öffentlichem Interesse. Heute ist der 75-Jährige nicht mehr breitenwirksam tätig. Dafür kommt seine kernige und direkte Art in diesen Tagen vor allem auf privater Ebene zur Geltung. Auch beruflich ist er noch aktiv. In allen Bereichen seines Lebens lässt er sich von einem unbändigen, strikten Glauben an Gott leiten. Doch selbst er, der Hardliner, sei inzwischen barmherziger geworden, sagt «Chrigu».

 

 

Dieser Artikel ist am 29. August 2023 in der Printausgabe des Unter-Emmentalers erschienen. Hier gehts zu den Aboinformationen der Lokalzeitung.

 

Ein Interviewgespräch mit Christian Waber stellt man sich irgendwie ziemlich unbequem vor; besonders dann, wenn man hie und da nicht dieselben politischen oder religiösen Ansichten vertritt wie er. Beim ersten Aufeinandertreffen ist jedoch das pure Gegenteil der Fall: Christian Waber ist – um es auf Berndeutsch zu sagen – «ä gmögige Cheib», und zwar vom ersten Augenblick an. Unumwunden bietet er einem das «Du» an. Man könnte ihn auch gleich beim Spitznamen nennen; passen würde es jedenfalls. «Chrigu» ist bodenständig, kumpelhaft, aufgestellt, witzig.

Von einem offiziellen Interviewtermin mit unbequemem Beigeschmack kann also keine Rede sein. Das Gespräch bei ihm zuhause in der Eigentumswohnung in Lützelflüh gleicht vielmehr einem ungezwungenen Vormittagsschwatz zwischen zwei Bekannten. Kafi und Gipfeli sind auch schon bereit. Es kann losgehen.

 

Die Politik war sein grosses Ding

«Mein Leben ist heute ein komplett anderes, es ist überhaupt nicht mehr politisch bestimmt», eröffnet Christian Waber. Man will es ihm kaum glauben. Die Politik war doch sein grosses Ding! 1985 bis 1992 Gemeinderat von Sumiswald, 1990 bis 1997 Grossrat, dann ab 1997 zwölf Jahre Nationalrat. Von 1996 bis 2000 war Christian Waber zusätzlich Präsident der Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU). Und nach seiner Karriere als Nationalrat war er nochmals in der Exekutive von Sumiswald tätig, diesmal als Gemeindepräsident (von 2013 bis 2016).

«Ich bin fast froh, heute nicht mehr derart im Mittelpunkt stehen zu müssen; ich vermisse die öffentliche Präsenz eigentlich kaum», sagt Christian Waber. Sein Lebensmittelpunkt sei heute vor allem seine 51-jährige Ehe, eine Verbindung, die ihm zeitlebens viel Halt gegeben habe.

Ja, auch Ehefrau Therese ist an diesem Vormittag zugegen. Gerade ist sie vom Einkaufen ins traute Heim zurückgekehrt. Wabers Eigentumswohnung liegt mitten im Zentrum von Lützelflüh. Alle wichtigen Besorgungen können zu Fuss gemacht werden. Arzt, Coop, Dorfbeiz, Bahnhof – alles ist in Minutenschnelle erreichbar.

Es sei ein Vernunftentscheid gewesen, nach Lützelflüh zu ziehen, sagt Christian Waber. Sein grosses Haus mit Umschwung in Wasen hat das Paar vor einigen Jahren verkauft. «Und weil es in Sumiswald zu dieser Zeit keine Eigentumswohnungen gab, ist es halt Lützelflüh geworden», erklärt der 75-Jährige den späten Wohnortwechsel. Doch auch hier, im Nachbardorf, kennt man die beiden bestens. Christian und Therese Waber sind gut integriert und vernetzt. «Ich werde auf der Strasse gerne für einen kurzen Schwatz angehalten oder werde in der Beiz nach meiner politischen Meinung gefragt», sagt Christian Waber.

 

Ein gefundenes Fressen für die Medien

Schweizweit bekannt wurde Waber seinerzeit durch Fernsehauftritte in der «Arena» oder im «Zischtigsclub» – um nur zwei Beispiele zu nennen. Für die Medien war er – ein Hardliner, der seine politischen und religiösen Überzeugungen jederzeit dezidiert und in kernigen Sätzen rüberbringen konnte – ein gefundenes Fressen. «Sie suchten jemanden, der in den politischen Fernsehdiskussionen die Oppositionshaltung einnehmen konnte und auch wollte – und dieser Jemand war dann halt oftmals ich.»

Für seine christlichen und nationalkonservativen Ansichten fand Christian Waber in der Vergangenheit durchaus Anhängerinnen und Anhänger – auf der andern Seite sorgten seine Überzeugungen vielerorts auch für Befremden. Befremden, das in einigen Fällen sogar in Hass umschlug.

Ein konkretes Beispiel dafür, dass Christian Waber eine sehr umstrittene Figur war: 2008 wurde gegen ihn Strafanzeige wegen Rassendiskriminierung eingereicht. Ihm wurde vorgeworfen gesagt zu haben, dass der Islam militant nach der Weltherrschaft strebe. Waber hatte den Islam unter anderem als menschenverachtenden Glauben bezeichnet. Auf das Gesuch der Zürcher Staatsanwaltschaft um Aufhebung der parlamentarischen Immunität trat das Parlament zwar ein, hielt aber letztlich an Wabers Immunität fest. Nach Ansicht des Parlaments stand das Interesse an einer Strafverfolgung nicht über jenem an einem ungehinderten Ratsbetrieb.

 

Kampf gegen Windmühlen

An diese unschöne Anekdote erinnert sich Christian Waber nicht so besonders gern. Doch sie gehört einfach zu seiner politischen Vergangenheit. Und noch heute findet er: «Es war richtig und wichtig von mir, damals so zu opponieren und mich gegen gewisse Mainstream-Strömungen aufzulehnen.» Solche populären Strömungen gebe es heute natürlich mehr denn je: Gender-Fragen, Homosexualität, feministische Emanzipation, eine allzu lasche Asylpolitik, Planungssünden wie das «Westside» oder nationale Schwimmzentrum – Christian Waber zählt einige Beispiele dafür auf. «Gegen solche und ähnliche Mainstream-Strömungen habe ich früher einen politisch-juristischen Kampf geführt. Damals wehte in dieser Hinsicht jedoch höchstens ein laues Lüftchen – um es mal bildlich darzustellen. Die Windmühlen drehten damals noch kaum, mein Kampf war also nicht aussichtslos – und die Menschen hatten auch noch eine gewisse Gottesehrfurcht.

Heute jedoch drehen die Windmühlen wie wild – wir sind mitten in einem gewaltigen Sturm drin», glaubt Christian Waber zu wissen. Heutzutage seien Bemühungen, wie er sie vor Jahren unternommen habe, sprichwörtlich zu einem Kampf gegen Windmühlen ausgeartet, sagt er.

Mit den «Windmühlen im Sturm» meint Waber unter anderem die ausufernden Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten, die mit den «zeitgenössischen Modeströmungen» einhergehen. «Alle Welt redet über Emanzipation, Feminismus, Gender-Fragen und dergleichen – man wird regelrecht überhäuft mit den unterschiedlichsten Themen und Informationen. Doch im Grunde sind wir damit komplett überfordert und erleben kaum mehr etwas dabei.»

Anstatt sich davon beirren zu lassen, sieht Waber in dieser «chaotischen Entwicklung» einen göttlichen Plan: «Wir befinden uns in einem endzeitlichen Sturm, einen solchen sagt auch die Bibel voraus.» Am bevorstehenden Chaos habe er selbst zwar auch keine Freude, doch letztlich werde alles wieder ändern und besser werden. «Dann nämlich, wenn Jesus wiederkehrt!», so der Alt-Nationalrat und ehemalige EDU-Politiker.

 

Über Gott und die Welt quatschen

Christian Waber ist felsenfest überzeugt davon, dass Jesus in leiblicher Form wieder auf die Erde zurückkehren wird. Es ist eine Überzeugung, die man als nicht-religiöse, glaubenskritische Person natürlich alles andere als teilen kann. Und trotzdem: Selbst in diesen Momenten, wenn Christian Waber mit Vehemenz eine Sache wie die Wiederkunft Christi vertritt, wird das Gespräch mit ihm nicht unangenehm. Nein: So nahbar und ehrlich, wie er ist, könnte man sogar stundenlang mit ihm am gleichen Tisch sitzen und über Gott und die Welt quatschen. Es macht nicht den Eindruck, als wollte er anderslautende Meinungen unterdrücken oder zunichtemachen.

Mit dem «gmögige Cheib» lässt sich sogar hervorragend über den Tod philosophieren: «Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Sobald ich sterbe, ist mein irdisches Leben zwar fertig, aber mein Geist wird bei Gott in der Ewigkeit überleben.» Wie in allen Bereichen seines Lebens erfährt Christian Waber auch beim Thema Tod – für viele nach wie vor ein absolutes Tabu-Thema – Halt durch seinen Glauben. Einen Glauben, den er und seine Frau heute in der Freien Evangelischen Gemeinde Sumiswald ausleben. Bei der Heilsarmee ist Christian Waber indessen nicht mehr Mitglied. Und das, obschon er in einer klassischen Heilsarmee-Familie grossgeworden ist. Als Kind musste er mehrmals ziemlich abrupt die Schule wechseln. Seine Eltern waren Heilsarmee-Offiziere – per Marschbefehl wurde die Familie von Zürich nach Genf beordert, später nach Bern. «Es waren zwar sehr behütete, aber auch sehr aktive, manchmal vielleicht sogar etwas turbulente Kinder- und Jugendjahre», erinnert er sich.

 

Ihm ist derzeit vieles vergönnt

«Meine Beerdigung ist sozusagen schon organisiert», kommt Christian Waber nochmals auf das Thema Sterben zurück. Um das, was bereits organisiert werden konnte, hat er sich höchstpersönlich gekümmert.

Angesichts dessen scheint der Tod für ihn wirklich kein Problem darzustellen. Seine Zuversicht ist aber auch deshalb so gross, weil er im gegenwärtigen Augenblick so vieles geniessen kann, das ihm vergönnt ist. Angefangen bei seinen vier erwachsenen Kindern: «Ich und meine Frau geniessen es sehr, dass wir einen guten Draht zu unserer Tochter und unseren drei Söhnen haben», sagt Waber, der darüber hinaus zehnfacher Grossvater ist. Die Nachkommen würden zwar allesamt nicht gerade um die Ecke wohnen, doch die Familie sehe sich trotzdem in sehr regelmässigen Abständen, gibt er zu verstehen.

Weiter pflegen Wabers einen intakten Freundeskreis – sie empfangen Visite oder gehen zu Besuch; ganz so, wie es gerade passt. Oder das Ehepaar unternimmt für sich selbst kleinere Reisen: «Der letzte Kurzurlaub führte uns nach Lübeck, wo wir in kultureller Hinsicht viel Schönes erleben durften.»

«Meine Gesundheit ist ein weiterer Grund zur Freude», führt der 75-Jährige aus. Gröbere Beschwerden habe er nämlich keine. Kürzlich hat Christian Waber beim Arzt den obligatorischen Fahrtüchtigkeitstest bestanden – Autofahren ist für ihn also weiterhin problemlos möglich. Für seine körperliche Gesundheit tut er insofern ziemlich viel, als dass er regelmässig und ausgedehnt spazieren geht. 

 

Er berät Bürger und Gemeinden

Auch beruflich ist der diplomierte Baumeister nach wie vor aktiv – als Berater in verschiedenen Funktionen, meist mit Bezug aufs Bau- und Planungswesen. Seit 1980 betreibt Christian Waber die Einzelfirma «Beratung für Gemeinde und Bürger BGB». Heute beträgt sein berufliches Engagement noch circa 40 bis 50 Prozent. «Ich mache es einerseits, weil ich nach wie vor einen sehr grossen Tatendrang verspüre und gerne mit Menschen zu tun habe, andererseits bin ich tatsächlich nicht gerade unglücklich darüber, dass ich durch meine Arbeit noch etwas Geld dazuverdienen kann», gibt der gelernte Maurer und Baumeister unumwunden zu. Als selbständig Erwerbender habe er es in früheren Jahren nämlich leider verpasst, ein namhaftes Pensionskassenguthaben aufzubauen. Dieses fehle ihm nun im Alter. «Ich will nicht etwa jammern, als Rentnerin beziehungsweise Rentner geht es uns gut, aber dank meiner fortwährenden beruflichen Tätigkeit können wir uns heute nebst dem Alltäglichen auch noch den einen oder anderen Luxus leisten – wie etwa unsere gelegentlichen Kulturreisen.»

 

«Chrigu» ist barmherziger geworden

Er habe stets im Moment gelebt, erklärt er sein «Versäumnis», auch in finanzieller Hinsicht rechtzeitig und umfassend für sein Alter vorgesorgt zu haben. Aussagen wie diese zeigen, dass Christian Waber eine grundehrliche Haut ist. Eine, die freimütig ausspricht, was sie gerade denkt – sogar dann, wenn’s selbstkritisch wird.

Rhetorisch ist Waber nach wie vor voll auf der Höhe. Wie früher im Schweizer Fernsehen: Er intoniert Sätze abwechslungsreich, macht kecke Sprüche. Seine Aussagen sind informationsgeladen, aber nicht ausschweifend. Er bringt es auf den Punkt – auch wenn das Auf-den-Punkt-Gebrachte dem Gegenüber manchmal gar nicht in den Kram passt. Ihm zuzuhören ist irgendwie seltsam wohltuend; und spannend sowieso. Man hat das Gefühl, Hardliner «Chrigu» sei mit dem Alter sogar etwas barmherziger geworden. Er selbst meint dazu nur: «Ja, es stimmt.»

 

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