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Die Mär vom heilvollen, glückbringenden Jahreswechsel

An Silvester fasst man gute Vorsätze fürs neue Jahr, schickt allen Freunden und Verwandten salbungsvolle Glückwunschbotschaften und besucht eine aufregende Silvesterparty, auf der man es ordentlich krachen lassen kann. Mumpitz! Ich selbst mache nichts von alledem. Stattdessen versuche ich, die vielen Unzufriedenheits-Minen zu umgehen, die auf dem Weg zum Jahreswechsel lauern. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn wir zu grosse Erwartungen an dieses Ereignis knüpfen bzw. wenn wir Impulsen folgen, die in diesem Zusammenhang tunlichst zu vermeiden wären.
 

Fangen wir also an.

 

Besondere Mühe bekunde ich etwa damit, dass der Jahreswechsel dermassen glorifiziert wird. Was soll das sentimentale Getue? Bloss, weil gemäss dem hiesigen Kalender am 31. Dezember um Mitternacht zusammen mit dem Datum auch die Jahreszahl wechselt, heisst das noch lange nicht, dass von dieser Nacht irgendeine besondere Kraft ausgeht…

Manch einer glaubt ja, er könne mit dem Jahreswechsel unschöne Dinge hinter sich lassen.

Tja, falsch gedacht! Wenn du sie bisher nicht angegangen bist, werden ungelöste Probleme und tieferliegende Traumata auch im neuen Jahr deine steten Begleiter sein…

 

Ebenso dümmlich ist die mit dem Jahreswechsel verbundene Hoffnung, im neuen Jahr möge vieles besser werden…

Tut mir leid, aber das neue Jahr wird dir kein Glück bringen! Ich behaupte: Glück existiert nicht. Auch eine Garantie für Gesundheit gibt es nicht. Wenn überhaupt, dann gibt es so etwas wie Zufriedenheit. Und dieses Zufriedenheitsempfinden können wir durch unsere (optimistische) Einstellung zu den Dingen sowie auch durch unser Verhalten zu einem gewissen Teil selbst beeinflussen – unabhängig davon, ob wir nun 2022 oder 2023 schreiben. Wer also daran glaubt, dass vom Jahreswechsel eine besondere Aura ausgeht, die Glück und Gesundheit begünstigen möge, muss schlichtweg als naiv bezeichnet werden.

 

Aus ebendiesem Grund ist es auch überflüssig, Freunde und Verwandte zum Jahreswechsel mit seichten Glückwunschbotschaften und Gesundheitswünschen zu überhäufen. Diese Konvention ist nicht nur – wie wir gerade herausgearbeitet haben – vollkommen unnütz, sondern überdies ziemlich nervig…

Was mich selbst betrifft: Weder möchte ich zum Zeitpunkt X Hunderte von Kurznachrichten verfassen noch Hunderte davon erhalten müssen. Diese geballte Massenkommunikation erzeugt Stress, der sich definitiv vermeiden lässt.

Versteh mich bitte nicht falsch: Ich liebe meine Freunde und meine Familie! Aber ich bin überzeugt davon, dass mein persönliches Umfeld viel mehr davon hat, wenn ich die Kontaktaufnahmen übers ganze Jahr verteile. In diesen Fällen sind die Nachrichten wenigstens ehrlich gemeint und enthalten zudem auch noch einigermassen sinnvolle Botschaften – was man von einer stumpfsinnigen, zusammengeklaubten Silvestermessage wohl kaum behaupten kann…

 

Besonders idiotisch ist nach meinem Dafürhalten auch der Brauch, sich zu Neujahr einen oder gleich mehrere Vorsätze zu überlegen. Die Absichten, die damit verfolgt werden, mögen zwar hehre sein, doch allzu oft – wir wissen es – scheitern Leute bereits nach kurzer Zeit kläglich und werfen ihre Vorsätze – ebenso schnellwie sie gefasst wurden – wieder über Bord. Das ist nicht besonders erstaunlich, denn Vorsätze sind, soll es nicht beim blossen Vorsatz bleiben, so gut wie immer mit Verhaltensänderungen verknüpft. Und das ist weiss Gott keine banale, schnell erledigte Sache, sondern eine ernste Angelegenheit. Es bedeutet steinharte Arbeit an sich selbst!

Wer sein Verhalten ändern will, knüpft seine Vorsätze deshalb besser nicht an ein bestimmtes Datum wie Silvester, sondern versucht stattdessen eher, die Verhaltensänderungen in kleinen Teilschritten im Alltag herbeizuführen. Disziplin und regelmässige Selbstreflexion sind dabei das A und O.

 

Nicht gerade verwerflich, aber im Grunde auch ziemlich überflüssig, ist die gängige Praxis, zu Silvester eine Party zu besuchen – oder noch schlimmer: selbst eine solche zu veranstalten. Unsere perfektionistische Ader lässt grüssen! Weil’s der letzte Tag des Jahres ist und mit dem Jahreswechsel besonders hohe Erwartungen verbunden sind, muss natürlich alles piekfein sein: die Frisur, die Garderobe, das Essen, die Getränke, die Tischgesellschaft, die Partygäste, die Dekoration – kurzum: das ganze Pipapo muss stimmen…

Mindestens zwei Unzufriedenheits-Fallen lauern in diesem Zusammenhang: der unsinnige Vergleich mit anderen sowie die übermässige Selbstbezogenheit bzw. Eitelkeit.

Letzteres kann – gerade an Silvester, wenn die Erwartungen an einen selbst besonders hoch sind – eigentlich nur in den Abgrund führen, denn die perfekte Erscheinung wird unsereins auch zum Jahreswechsel nicht hinkriegen. Das Streben nach Perfektion ist und bleibt ein sinnloses Unterfangen.

Damit einher geht der Vergleich mit anderen, der sowieso Gift für den eigenen Zufriedenheitsbarometer ist – ob nun zu Silvester oder an anderen Tagen. Aber zum Jahreswechsel, wenn alle Welt mit perfekten Outfits, perfekten Freunden und perfekten Silvesteraktivitäten protzt, sind wir für Vergleiche besonders anfällig. Denn etwas in uns drin will uns glauben machen, wir müssten in dieser ach so magischen Nacht ebenso perfekt sein bzw. sollten ebenso perfekte Dinge anstellen wie die anderen. Dabei rücken wir die Äusserlichkeiten und Oberflächlichkeiten des Gegenübers übermässig ins Zentrum, klammern aber gleichzeitig komplett aus, was sich hinter dessen herausgeputzter Fassade sonst noch alles verbirgt

Besonders unzufrieden sind wir übrigens dann, wenn wir uns mit Menschen aus deutlich wohlhabenderen oder gebildeteren Gesellschaftsschichten vergleichen. Dies aber nur als Randbemerkung. Wichtig zu wissen ist: bei Vergleichen sind Neid und Enttäuschungen oftmals vorprogrammiert. Damit muss man umgehen können. Oder man lässt das ewige Vergleichen einfach sein.

 

Mein Silvester-Bashing möchte ich abschliessen mit der Feststellung, dass an diesem Abend in der Regel viel zu viel gegessen und getrunken wird. Die Völlerei kennt kaum Grenzen! Und das, obschon man sich den Wanst bereits zu Weihnachten diverse Male vollgeschlagen hat…

Aber auch hier: bitte nicht falsch verstehen! Wer sich zum Jahresende hin ein reichhaltiges Menü kredenzen will, dem sei’s gegönnt. Solange der Fresserei und Sauferei eine bewusste Entscheidung zugrunde liegt, habe ich nichts dagegen. Wer sich jedoch der Genuss- und Verschwendungssucht hingibt, nur weil alle andern es ebenfalls tun, ist zu bemitleiden. Ebenso stupide ist es, ein Gelage zwecks Selbstprofilierung auszurichten: Wer mit Esswaren und Getränken gross auffährt, bloss um andere zu beeindrucken, gibt zu erkennen, dass er der Gefallsucht anheimgefallen ist. Das Gegenüber wiederum könnte sich durch die Selbstprofilierung dazu genötigt fühlen, Neid und Missgunst zu empfinden. Wir erinnern uns: Vergleiche machen unzufrieden; auch andere empfinden so, wenn sie auf uns blicken. Wir können also sowohl durch unsere eigene Erscheinung als auch durch unser Verhalten einiges dazu beitragen, dass andere Menschen nicht in den unsäglichen Vergleichsstrudel hineingezogen werden.

 

 

So, das war’s.

 

Ist meine Sichtweise auf den Jahreswechsel zu zynischMag sein. Ich wollte niemandem persönlich auf den Schlips treten.

 

Soll doch jeder so feiern, wie es ihm beliebt. Vielleicht lohnt es sich aber, über gewisse Rituale und Gepflogenheiten einmal nachzudenken. Hierin liegt für mich sowieso der verborgene Zauber von Weihnachten und Neujahr: Die Festtage bieten wunderbare Gelegenheiten, um innezuhalten, achtsam zu sein und wieder einmal sich selbst zu hinterfragen.

 

Ob ich dieses Jahr alle oben genannten Hindernisse umschiffen kann, weiss ich nicht. Was ich jedoch weiss, ist, dass ich die Tage des Jahreswechsels dazu nutzen werde, um Beziehungen zu pflegen und bewusst etwas Zeit mit einigen sehr liebenswürdigen und wichtigen Menschen zu verbringen. Ausserdem nutze ich die Zeit für mich selbst: Ich möchte zur Besinnung kommen und versuchen dankbar zu sein für alles, was ich im zu Ende gehenden Jahr erleben durfte.

Mein Silvesterabend wird deshalb voraussichtlich sehr ruhig verlaufen: nach ein, zwei guten Filmen werde ich um Mitternacht zusammen mit meinen Eltern kurz und unprätentiös auf das neue Jahr anstossen. Danach gehe ich ins Bett – that’s it.

 

Ich wünsche allen, die bis hierhin durchgehalten haben, ganz viel Zufriedenheit im neuen Jahr!

 

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PS: Silvester zu feiern, bloss weil es eine Tradition ist, ist kein ausreichender Grund. Strenge deine Hirnzellen an! Warum ist dieser Brauch so wichtig für dich? Kleiner Tipp: Ändere die Tradition nach deinen Möglichkeiten, wenn sie dich nicht (mehr) zufriedenstellt.

 

PPS: Feuerwerkskörper sind in der Regel laut, teuer und umweltschädlich. Du tust gut daran, auch an Silvester darauf zu verzichten. Raketen und Zuckerstöcke machen nicht nachhaltig zufrieden – im Gegenteil.

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