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Das alte Reglement und der Nacktwanderer

 

Ein völlig veraltetes Ortspolizeireglement aus den 1960er-Jahren musste in Affoltern von der Gemeindeversammlung aufgehoben werden. Angesichts der Inhalte des Reglements, die aus heutiger Sicht über weite Strecken recht befremdlich wirken, eigentlich ein Geschäft, das glatt hätte durchgehen sollen. Ging es letztlich auch. Aber erst, nachdem die Versammlung über den lokal bekannten Nacktwanderer diskutiert hatte.

In Affoltern im Emmental frönt ein Nacktwanderer seinem luftigen Hobby. Das sorgt im Dorf regelmässig für Ärger und Diskussionsstoff – so auch an der letzten Gemeindeversammlung.
In Affoltern im Emmental frönt ein Nacktwanderer seinem luftigen Hobby. Das sorgt im Dorf regelmässig für Ärger und Diskussionsstoff – so auch an der letzten Gemeindeversammlung.

 

Dieser Artikel erschien am 19. Dezember 2023 in der Printausgabe der Lokalzeitung Unter-Emmentaler.

 

Soll einer noch sagen, Bürgerversammlungen in beschaulichen Emmentaler Gemeinden böten keine brisanten Themen! Zwar zeichnet die Abstimmung zur Aufhebung des Ortspolizeireglements ein sehr friedfertiges Bild: Nur eine Person aus der Versammlung war schliesslich gegen die Aufhebung, die restlichen 35 Stimmbürger folgten dem Antrag des Gemeinderats.

Der Nein-Stimmende aber, Urs Stalder aus Affoltern, war es gewesen, der vor der Abstimmung noch ein heisses Thema zur Sprache gebracht hatte. Eines, das ein an sich total unspektakuläres Traktandum schlagartig in ein aussergewöhnliches verwandelte. Denn: Wie in Affoltern und über die Gemeindegrenzen hinaus bestens bekannt ist, geht in der Region ein Nacktwanderer seinem unkonventionellen Hobby nach. Eine Person, die den Einwohnerinnen und Einwohnern von Affoltern wohlbekannt ist und die bei gewissen Leuten immer wieder Anstoss erregt – Gemeindepräsident Roland Ryser nannte in der Versammlung sogar seinen Namen: Peter Niehenke. Auch der Unter-Emmentaler berichtete schon ausführlich über den Nacktwanderer von Affoltern. Andere Medien ebenso.

 

Einer stellt sich dagegen

«Ich bin gegen die Aufhebung des Ortspolizeireglements», sagte Urs Stalder bestimmt, als er sich in der Diskussion an den Gemeinderat und seine Mitbürgerinnen und Mitbürger richtete. Wie aus der markigen Wortmeldung Stalders hervorging, hegt dieser Hoffnungen dahingehend, durch die Aufrechterhaltung des altmodischen Ortspolizeireglements von 1960 könne einem Gebaren wie jenes des kommunal bekannten Nacktwanderers Einhalt geboten werden. Ein Wunsch, den in der Gemeinde offensichtlich noch andere haben, denn aus persönlichen Gesprächen nach der Versammlung ging hervor, dass das Verhalten Niehenkes von einigen als grenzwertig beziehungsweise sogar als grenzüberschreitend und regelverletzend empfunden wird.

Aber item: Die Hoffnungen Urs Stalders mussten die verantwortlichen Gemeinderäte jedenfalls sogleich enttäuschen. «Wir können den Punkt eines Nacktwanderer-Verbots nicht einfach so auf Gemeindeebene anpacken – dies müsste, wenn schon, kantonal geschehen», sagte Gemeindepräsident Roland Ryser. Und sein Kollege Fritz Weyermann, im Rat verantwortlich für das Ressort öffentliche Sicherheit, doppelte nach: «Entscheidend sind die Regeln auf kantonaler sowie auf Bundes-Ebene, an diese müssen wir uns heute halten. Das Ortspolizeireglement ist derweil masslos veraltet. Es ist nicht das richtige Instrument, um das Problem mit dem Nacktwandern zu regeln.»

Nach diesen verteidigenden Ausführungen der beiden Gemeinderäte stand einer Abschaffung des Ortspolizeireglements – wie bereits erwähnt – nichts mehr im Weg. Dass dieses Reglement abgeschafft gehört, daran gab es im Grundsatz eigentlich auch gar nichts zu rütteln, denn die Inhalte wirken aus heutiger Sicht, über 60 Jahre nach dessen Einführung, teilweise recht befremdlich.

 

Sonn- und Feiertage wurden geheiligt

So heisst es beispielsweise in Artikel 30 des Reglements: «Schutt und Kehricht dürfen nur an Stellen abgelagert werden, wo sie weder das Ortschaftsbild stören noch die Nachbarn oder weitere Bevölkerungskreise durch üble Gerüche, Staub oder andere Weise belästigen.» Unzeitgemäss auch Artikel 32, in welchem Anlässe an hohen Festtagen ganz klar untersagt werden. Zu unterlassen seien an Festen wie Ostern und Pfingsten etwa Schiess- und Feuerwehrübungen, Schaustellungen, Theateraufführungen, Lichtspielvorführungen, das Musizieren im Freien sowie sportliche und lärmende Veranstaltungen. «An den übrigen Sonntagen sind sie während des Vormittagsgottesdienstes einzustellen», heisst es weiter. Und noch etwas strenger und sittsamer: «Das Kegelschieben und andere öffentliche Spiele, für die nicht besondere gesetzliche Vorschriften bestehen, sind an den hohen Festtagen gänzlich und an den übrigen Sonntagen während des Vormittags verboten.»

Unter dem Strich tat die Gemeindeversammlung von Affoltern also gut daran, das Reglement aufzuheben. Dies oblag einzig der Kompetenz des Gemeindesouveräns, denn die Versammlung der Einwohnergemeinde vom 2. Juli 1960 war es einst auch gewesen, die das Ortspolizeireglement und dessen Inhalte angenommen hatte. Der Gemeinderat konnte also gar nicht anders, als diesen alten Zopf nun von der Versammlung abschneiden zu lassen.

 

Budget 2024 rechnet mit Minus

An der Gemeindeversammlung konnten die 36 anwesenden Personen (3,8 Prozent der Stimmberechtigten) ausserdem noch vom Finanzplan des Gemeinderats Kenntnis nehmen sowie über das Budget 2024 abstimmen. Sie hiessen das Budget einstimmig gut, das eine unveränderte Steueranlage von 1,86 Einheiten, eine unveränderte Liegenschaftssteuer von 1,2 Promille des amtlichen Wertes sowie ein Minus von 156'500 Franken im Gesamthaushalt vorsieht.

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