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Das beste Unglück, das mir je passieren konnte?

Anstatt auf Reisen, führe ich meine Auszeit einfach zuhause weiter. Das wirft Fragen auf. Interessanterweise aber weniger bei mir selbst als vielmehr bei einigen Mitmenschen …

 

 

Kurze Wiederholung: Mitte November hatte ich auf der Insel Roatán in Honduras einen Rollerunfall. In der Folge suchte ich, als die Schmerzen in der Rippengegend zu stark wurden, in der Hauptstadt Honduras’ ein Krankenhaus auf. Dort stellten die Ärzte nicht nur fest, dass ich mir eine Rippenprellung zugezogen hatte, sondern sie diagnostizierten überdies eine Infektion mit dem Dengue-Virus.

 

Dies bedeutete das vorzeitige Aus für meine Weltreise, zu der ich erst Anfang Oktober aufgebrochen war. Hier erfährst du ein bisschen mehr dazu. 

 

Ich kehrte also Anfang Dezember in die Schweiz zurück. Zwei Monate sind seither vergangen. Zwei Monate, in denen ich mich erholen und wieder zu Kräften kommen konnte. Inzwischen bin ich wieder vollständig genesen (abgesehen von ein paar Restschmerzen in der Rippengegend, die mich wohl noch eine Weile begleiten werden). Was zurückbleiben könnte, wären also höchstens seelische Wunden: ein tiefgreifendes Reuegefühl ob der Tatsache, dass ich mein grosses Herzensprojekt «Weltreise» unvermittelt hatte abbrechen müssen; oder einen Hass auf die Welt, weil ich für dieses Abenteuer zuvor ja extra meinen Job gekündigt und auch im Privaten alles Nötige für die bevorstehende Auszeit arrangiert hatte …

 

Komme ich mit Freunden und Bekannten auf meine derzeitige Lebenslage zu sprechen, dreht sich der Austausch inzwischen also nicht mehr um Denguefieber und mangelhafte Rollerfahrkünste meinerseits, sondern vielmehr um eben genau das: meine mutmasslich fragile Gefühlslage, den angerichteten Schlamassel und wie ich mit dieser vermeintlich vertrackten, schicksalhaften Lebenssituation nun umzugehen gedenke.

In diesen Gesprächen habe ich jeweils den Eindruck, dass gewisse Leute ziemlich erstaunt sind, wenn ich ganz ehrlich bin und so etwas sage wie: «Keine Ahnung, was ich jetzt mache, ich habe noch keine konkreten Pläne. Vielleicht gehe ich in absehbarer Zeit wieder auf Reisen, ich weiss es aber noch nicht. Eine Festanstellung möchte ich vorderhand sicher nicht annehmen. Und ganz bestimmt bin ich nicht traurig darüber, dass ich die Weltreise abbrechen musste. Meine Auszeit geht ja weiter, jetzt halt einfach zuhause statt in der Ferne.»

 

Es klingt komisch, aber in solchen Situationen kann ich gar nicht anders, als innerlich eine gewisse kindliche Freude zu empfinden. Dies, obschon die Ausgangslage im Grunde eine traurige, vielleicht sogar besorgniserregende sein müsste – jedenfalls gemessen an den stirnrunzelnden Gesichtern einiger Gesprächspartner.

 

Dass Leute in diesem Zusammenhang zuerst mit Mitgefühl reagieren, dann aber, weil ich meine Unbeschwertheit und Planlosigkeit so explizit betone, mitunter auch leichtes Befremden oder sogar Unverständnis an den Tag legen, zeigt mir, dass es offensichtlich alles andere als normal ist, sich mitten im Leben einfach eine Auszeit zu gönnen, mehr oder weniger grundlos – und sich darüber auch noch zu freuen!

«Du willst doch wohl nicht einfach den ganzen Tag nichts tun? Irgendetwas musst du doch machen!», wird mir unter anderem entgegnet, wenn ich zum Ausdruck gebracht habe, dass ich mich in meiner neuen Lebenslage eigentlich gerade sehr wohlfühle und vorderhand nicht gross etwas daran ändern möchte ...

 

… nun, um es vorwegzunehmen: Freilich unternehme ich seit meiner Rückkehr jeden Tag etwas. Ich liege also weder dem Staat auf der Tasche noch bin ich ein Faulenzer oder Taugenichts. Dazu gleich mehr. Doch bemerkenswert ist zunächst folgendesAls ich meinen Job gekündigt hatte, um für längere Zeit auf Reisen zu gehen, zeigte sich diesbezüglich jeder und jede sehr verständnisvollbisweilen sogar freudig erregt und leicht eifersüchtig. So wäre es bestimmt auch gewesen, hätte ich mir eine Auszeit zugunsten meiner Kinder und des Familienlebens gegönnt (was ich jedoch beides nicht habe). Und selbstverständlich wäre ich auch beklatscht worden für eine Auszeit, während derer ich eine Weiterbildung absolviert hätte.

Aber eine Auszeit nun einfach so, um zuhause in den Tag hineinzuleben?! Für viele offensichtlich eine seltsame, ziemlich abwegige Vorstellung.

 

Abwegig wohl deshalb, weil dies grundsätzlich nicht vereinbar ist mit einer arbeitsamen, sich aufopfernden, produktiven Gesellschaft. Abwegig vielleicht aber auch daher, weil einige gar nicht wüssten, was sie zuhause mit der Zeit anfangen sollten, die ihnen aufs Mal zur Verfügung stünde. Und sie steht einem wirklich in rauen Mengen zur Verfügung, die Zeit, wenn man mal zuhause ist und längerfristig weder berufliche noch private Verpflichtungen hat – ich kann inzwischen ein Lied davon singen! Auf mich wirkt dieser Umstand aber nicht etwa beängstigend. Im Gegenteil: Endlich kann ich mich mal in aller Ruhe all den schönen Dingen widmen, die mich interessieren und zufriedenstellen; und die vorher, als ich noch voll berufstätig war, leider oftmals zu kurz gekommen sind.

Ich lese reihenweise Bücher, mache fast jeden Tag Sport, kaufe Lebensmittel für eine ausgewogene Ernährung ein, koche gesunde Gerichte, ziehe mir YouTube-Videos und Filme rein, die ich schon lange sehen wollte, schlafe ausreichend, treffe vermehrt Freunde und Familienmitglieder, gehe im Wald spazieren, verbringe viel Zeit mit meinem Freund, schreibe regelmässig Texte, spiele Trompete, usw.

Während und zwischen diesen Tätigkeiten habe ich den Luxus*, mich mit mir selbst und mit meinen Lebensumständen auseinanderzusetzen. Das mag jetzt vielleicht ein bisschen esoterisch klingen, doch eigentlich meine ich damit bloss, dass ich mir im Moment und bis auf weiteres eine Phase gönnen möchte, in der ich einfach das Richtige auf mich zukommen lassen kann. Ohne Gehetze, ohne Zukunftsängste, ohne Planungsdruck. Denn:

 

 

«Planung hat einen grossen Nachteil: Das, was das Leben einem anbietet, die verborgenen Dinge, die rechts und links vom Wege liegen, sind interessanter als die eigene Fantasie zu einem gegebenen Zeitpunkt.»

 

 

Ich lehne Planung nicht grundsätzlich ab, aber je länger, desto eher habe ich den Eindruck, dass wir uns durch unsere krampfhaften Versuche, sämtliche Bereiche des Lebens und der Welt kontrollieren zu wollen, letztlich irgendwie selbst blockieren. Anscheinend fällt es uns immer schwerer, das Unvorhersehbare und Unplanbare auszuhalten. Gefühle von Unsicherheit, die mit der Unbestimmtheit einhergehen, versuchen wir tunlichst zu vermeiden, indem wir übereilte Entscheidungen treffen und Pläne verfolgen, die möglicherweise weder besonders reflektiert noch rational begründbar sind. Im dümmsten Fall laufen die Pläne, denen wir nachhetzen, sogar den eigenen Interessen und Vorlieben zuwider. Wir verraten uns damit also quasi selbst – bloss, um nicht das bohrende Gefühl empfinden zu müssen, das mit einer ungewissen Zukunft einhergeht.

 

Ja, auch ich empfinde bisweilen dieses nagende Gefühl. Und keineswegs wäre es so, dass ich überhaupt keine Zweifel hätte, was meine Zukunft anbelangt. Solche Zweifel sind ja geradezu menschlich; und sie stehen in unserer westlichen, von Wettbewerb und Optimierung geprägten Gesellschaft auch in einer sehr engen Beziehung mit Fragen des Einkommens und des Vermögens. Planungslosigkeit muss man sich leisten können! Oder anders gesagt: Eine Auszeit zuhause, die vermeintlich keinem höheren Zweck dient und während derer kein Einkommen erzielt wird, scheint gemeinhin ein sinnloses, ja geradezu ruinöses und selbstzerstörerisches Unterfangen zu sein. Bei einem solchen Lebensstil schmilzt das Vermögen unweigerlich dahin, und – was scheinbar noch fast schlimmer ist – die beruflichen Perspektiven werden auch nicht besser, denn je länger man untätig ist und der eigenen Branche fernbleibt, desto eher fällt man im Kampf um die besten Arbeitsplätze hinter die Konkurrenz zurück.

 

Nun, was letzteres anbelangt, mache ich mir keine allzu grossen Sorgen. In diesem Zusammenhang vertraue ich ganz einfach auf meine Talentemeine berufliche Spezialisierung sowie auf meine Flexibilität. Und was die Frage des Geldes betrifft: diesbezüglich wende ich einen kleinen Trick an, wenn die – leider nicht restlos zu unterdrückenden – Zukunftssorgen wieder in mir hochsteigen. In diesen Momenten rufe ich mir einfach in Erinnerung, dass ich aktuell und bis auf weiteres keinen Chef habe, der mir sagt, was ich zu tun habe. Allein dadurch empfinde ich bereits ein grosses Gefühl der Freiheit und Selbstbestimmtheit. Dieses Gefühl kann ich dann sogar noch ein wenig steigern, indem ich mir bewusst mache, dass ich derzeit zwar keinen müden Rappen verdiene, dafür aber jeden Tag trotzdem ein kleines bisschen reicher werde. Reicher an Erfahrungen, reicher an Zufriedenheit, reicher an Ausgeglichenheit. Ganz einfach deshalb, weil ich derzeit (fast ausschliesslich) das tue, was ich im Leben am liebsten mache und was mir persönlich guttut.

 

Ich sehe diesen Lebensabschnitt also nicht als Bürde, sondern als einmalige Chance. Es werden sich Türen auftun, von denen ich nicht einmal wusste, dass es sie gibt. Was mir dabei am meisten hilft, sind Geduld und ein gewisses UrvertrauenVielleicht werde ich in ein paar Jahren, oder vielleicht sogar schon in ein paar Monaten, sagen können: „Dies ist das beste Unglück, das mir je passieren konnte!“.



* Ich will an dieser Stelle nicht verschweigen, dass ich mir diese Auszeit wohl kaum gönnen würde, hätte ich nicht ein bisschen Geld auf der hohen Kante. Erspartes, das eigentlich für meine Reisetätigkeit reserviert ist, doch für den Moment und bis auf weiteres finanziere ich mir damit ein freies und autonomes Leben zuhause. Begünstigt wird dieser Lebensstil dadurch, dass ich mietgünstig wohne und ich mir – von meinen Reisen einmal abgesehen – in der Summe einen ziemlich minimalistischen Lebensstil angewöhnt habe. Keineswegs ist es aber so, dass ich über unendliche finanzielle Ressourcen verfügen würde, sonst würde ich mich in diesem Blog wohl kaum mit Zukunftsängsten und Selbstzweifeln auseinandersetzen.

 

 

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